- Wolke 7, Die Geschichte einer Erstbegehung im Winter an der Schüsselkarspitze.
Ende Mai 1999: Ein langer Winter ist zu Ende gegangen und es zieht mich wieder hinauf über die Wangalm zur Schüsselkarspitze. Wie oft bin ich diesen Weg schon in den letzten Jahren gegangen? Heute ist Andi dabei. Er ist 18 Jahre. Ich bringe immerhin das Doppelte an Jahren ein. Vom Wettersteingebirge habe ich ihm schon viel erzählt, von den vielen tollen Touren, vom einmaligen Fels und von der faszinierenden Landschaft. Und heute schleppt er zum ersten Mal den Rücksack über die steilen Wiesen 2 Stunden hinauf zu den Einstiegen. "Wie heißt die Route, die wir heute gehen?" - "Keine Ahnung, sie hat keinen Namen, ist auch in keinem Führer. Fritz ist sie letztes Jahr geklettert und war restlos begeistert. So acht minus, alles mit Bohrhaken bestens gesichert. Alpines Sportklettern pur."
Der Einstieg war leicht zu finden. Gewaltig zieht sie hinauf über den gelben, Überhängenden Fels. Eine Seillänge schöner als die andere. Und die Klemmkeile, die wir vorsichtshalber mitgenommen haben, waren überflüssiger Ballast. Nach 6 Seillängen endet diese namenlose Tour etwas unterhalb des Westgratturmes auf einem Grasband.
"Gewaltig, sicher die schönste Route in
diesem Schwierigkeitsgrad, die ich an der Schüsselkarspitze
geklettert bin."
Erinnerungen an Südfrankreich und die Schweiz
kommen hoch, wo es unzählige bestens gesicherte
alpine Sportkletterrouten gibt; bei uns
sind solche wirklich Mangelware. Es ist
einfach herrlich, im Hochgebirge Seillänge
für Seillänge zu klettern und der Spaß
steht im Vordergrund und nicht die Frage,
wo vielleicht der nächste Klemmkeil unterzubringen
ist. "Diese Noname ist eindeutig
noch schöner als die Mon cheri .Die
Mon cheri hab ich mit meinem Freund
Luis Knabl 1993 eingebohrt. Viel Kritik
haben wir geerntet, weil wir diese mit
der Benzinbohrmaschine von oben eingebohrt
und bestens mit Klebehaken abgesichert
haben. Viel Lob und Begeisterung kam aber
von den zahlreichen Wiederholern, was
mich sehr gefreut hat. Ich glaube, dass
es oberhalb der WaIdgrenze keine selbstgemachten
Grenzen geben soll und Freiheit kann nicht
von irgendjemandem definiert werden. 'Von
unten -gut, von oben -schlecht!"
Das ist für mich eine zu einfache Festlegung.
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Beim Abseilen über die sehr ausgesetzte Abseilpiste sind unsere Blicke dann auf die Seite geschweift. Noch viel jungfräulicher, sehr einladender Fels ist hier zu finden. Und wie bei einem Puzzle hat sich Stück an Stück zusammengereiht zu einem Bild: WOLKE SIEBEN.
Die Linie hat schon einen Namen, bevor der
erste Bohrhaken gesetzt ist. Wolke sieben, ein
Ausdruck des Verliebtseins, des Abhebens, des
Losgelöstseins. Einmal sind wir noch von oben
abgeseilt, um zu sehen, ob diese Linie für uns
kletterbar erscheint, ob sich der Aufwand an
Zeit und Material rentiert. Und wir sind verliebt
geblieben in diese Linie. 4 Mal sind wir dann
im Herbst von unten eingestiegen, zum ersten
Mal in Cliffs hängend haben wir die Löcher für
die soliden goldenen Bohrhaken gebohrt. Auch
das hat großen Spaß gemacht, auch wenn es an
den Standplätzen oft schon grimmig kalt war.
09.01.2000: Seit Allerheiligen steck der letzte
Bohrhaken, das war das letzte schöne Wochenende
in diesem Herbst. Viel Schnee ist sei damals
gekommen. Von der Leutasch habe ich oft beim
Langlaufen hinaufgeschaut zur Wolke sieben.
Zu meinen intensivsten Klettererlebnissen haben
schon immer Winterbegehungen von verschiedenen
klassischen Routen an der Schüsselkarspitze
gehört. Und ich habe dann zu träumen begonnen,
die Wolke sieben im Winter zu machen.
Das neue Jahrtausend hat mit wunderschönen Wintertagen begonnen, der Lawinenwarndienst beurteilte die Lawinengefahr mit "mäßig". Andi und ich haben die Rücksäcke schnell
gepackt. Einsam ziehen wir mit den Schiern
die Spur hinauf, an der wunderschön gelegenen
Wangalm vorbei, in die Nähe des Einstiegs.
Wir freuen uns riesig aufs Klettern. Es
ist so fein warm, dass wir teilweise im
kurzen Leibchen klettern. Herrlich ist
es, den steilen, warmen Fels zwischen
den Fingern zu spüren. Wir sind begeistert
von der Schönheit und Homogenität der
Kletterei. Nach 4 Stunden sind wir am
Ausstieg der Wolke sieben. Mehr als zufrieden,
glücklich. "Berg heil, Andi! Gratulation für
deine Rotpunkt-Erstbegehung!" |
Mit den letzten Sonnenstrahlen seilen wir ab über unsere ausgesetzte Abseilpiste. Unsere Körper ziehen lange Schatten und spiegeln sich im Orange der untergehenden Sonne. Schnell wird es dunkel und sehr kalt. Der Bruchharsch kann unserem Hochgefühl nichts anhaben. Einer meiner schönsten Klettertage ist zu Ende. Mögen viele Kletterer und Kletterinnen in dieser Tour von ähnlichen Gefühlen begleitet sein und nicht nur in dieser Tour auf Wolke sieben schweben. |
Thomas Schöpf
Wer's noch nicht weiß, wie man zur Schüsselkarspitze gelangt, hier eine kurze Beschreibung: von Leutasch (Tirol) entweder über die Wangalm oder durch das Puittal unter die S-Wand der Schüsselkarspitze bzw. Scharnitzspitze. Gehzeit: 2 Stunden. An den Südwänden kann man bei entsprechender Witterung das ganze Jahr klettern. Bei Winterbegehungen auf sichere Lawinenverhältnisse achten!
Gallerie: